Das Landesjugendorchester NRW wagt in dieser Spielzeit ein ungewöhnliches Experiment: Es führt Bruckners unvollendete Sinfonie Nr. 9 in einer Rauminszenierung auf, die das Hörerlebnis mit den Mitteln des Theaters - Kostüm, Raum, Bühne und Licht - auf neuartige Weise erweitert und zugleich verdichtet. Zentrale Vorbilder dieser Inszenierung sind zwei verschiedene Raumkonzepte: Da ist zum einen die katholische Theatiner kirche in München, die mit ihren ganz in weiß gehaltenen Ornamenten und Stuckaturen den Himmel auf Erden versinnbildlicht. Zum anderen ist es der "White Cube" der bildenden Kunst, der als neutraler Raum gänzlich zurücktritt und sich lediglich als Bühne für die ausgestellten Kunstwerke versteht.
Diese beiden Raumkonzepte werden miteinander verschränkt. Alle Farben sind eliminiert. Der Bühnenraum selbst, die Sitzmöglichkeiten für die Musiker, die Notenständer und auch die Kostüme der Musiker sind ganz in weiß gehalten. Nur die Instrumente heben sich davon ab; sie leuchten in ihren unterschiedlichen Holztönen, während die Musiker um sie herum verschwinden. Diese radikale Reduktion des Raumes öffnet die Ohren und ermöglicht eine Konzentration auf das Wesentliche: die Musik. Bruckner wird der Himmel gegeben, in den er sich immer komponieren wollte.
Der niederländische Architekt Aldo von Eyck beschreibt in seinem Aufsatz The Child, the City and the Artist ein besonderes Veränderungsmoment in der Stadt: wenn Schnee gefallen ist wird die Stadt von den Kindern erobert; die ganze Stadt wird zu einer Art Spielplatz – der öffentliche Raum wird umgedeutet; zu Schlittenbahnen und Schneearchitekturen umgebaut. Der Schnee überdeckt die städtischen Oberflächen, Pflastersteine, Bahnschienen und reduziert sie zu einer großen einheitlich weißen Spielfläche, die jetzt neu gedeutet werden, ja, neu bespielt werden kann. So werden die öffentlichen Plätze ihrer ursprünglichen Funktion enthoben: sie sind nicht nur da um sie zu überqueren, sondern um belebt zu werden. Übertragen auf die Konzertsituation stellt sich die Frage, wie sich die besondere Arbeit Bruckners, sein musikalisches Schaffen als Ausdruck seiner tiefen Religiosität und sein kompositorischer Zugriff, der sich alleine durch die musikalische Logik motiviert, räumlich erfahrbar wird? Wie lässt sich seine Musik im Raum inszenieren, ohne dass dieser über die Aufmerksamkeit der Zuhörer und Zuschauer von der Absolutheit der Musik dominiert?
Als Grundlage dieser Situation dienen zwei Räume als zentrale Vorbilder: zum einen die katholische Stiftskirche Theatinerkirche in München, die im italienischen Spätbarock erbaut wurde. Mit ihren ganz in weiß gehaltenen Ornamenten und Stuckaturen stellt sie den Wunsch dar, über die möglichen Schattenspiele zwischen den Schmuck-Elementen, den Himmel auf Erden zu versinnbildlichen. Zum anderen, der „White Cube“ der bildenden Kunst, der als Neutralraum zurücktreten und für die dort ausgestellten Kunstwerke zur Bühne werden soll. Als Vorbild fungiert er, obwohl sich die ästhetische Theorie längst einig darüber ist, dass es diesen neutralen Raum eigentlich nicht gibt, denn unsere Wahrnehmung des Raumes trägt zum gleichen Teil zur Rezeptionserfahrung (der Kunstwerke) bei.
Für das Konzert werden diese beiden Raumkonzepte miteinander verschränkt und „alles“ wird in weiß gehalten sein: Sitzmöglichkeiten für die Musiker, Notenständer, Kostüme der Musiker. Alle Farben werden ausgelöscht – nur die Instrumente leuchten in unterschiedlichen Holzfarben vor den verschwindenden Menschen.
Raum und Musiker verschmelzen und die Öffnung des Raumes ermöglicht eine Öffnung der Ohren und so eine Konzentration auf das Wesentliche: die Musik. Und nicht zuletzt wird Bruckner endlich der Himmel gegeben, in den er sich immer komponieren wollte.
In ähnlicher Absicht wird für Klangfarbe Bruckner der Theatersaal eingeweißt. Er bleibt in seiner ursprünglichen Funktion erhalten aber ermöglicht doch einen anderen Zugang, einen anderen Blick auf das Bühnengeschehen.
Genau wie der Schnee die Strukturen der städtischen Oberflächen überdeckt, – Pflastersteine und Strukturen, die vom Schnee beruhigt und vereinheitlicht werden – versuchen wir in KLANGFARBE BRUCKNER ein Erfahrungsmoment herzustellen, das über die Reduktion der räumlichen Strukturen eine Hörsituation schafft, die dem Zuschauer eine Konzerterfahrung mit allen Sinnen ermöglicht. Denn ein Konzert zu hören bedeutet immer auch, es zu sehen.
„Four elements and five senses.“ (Dylan Thomas)
Ermöglicht durch die Stiftung Kunst Kultur und Soziales der Sparda-Bank-West.Gefördert von: Kunststiftung NRW, Ministerium für ‚Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen
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